Das kleine Lokal in den Vororten von San Francisco war bei den Offizieren der Sternenflotte äußerst beliebt. Ausnahmslos alles auf der Speisekarte wurde in traditioneller Handarbeit hergestellt und nicht aus dem Replikator serviert. Der Inhaber führte „Bobbys Ranch“, wie er sein Lokal nannte, nun schon in der fünften Generation. Der Duft von frisch gebackenem Röstbrot war schon einige Blocks vom Restaurant entfernt wahrzunehmen und ließ jedem Passanten das Wasser im Mund zusammenlaufen. Hatte man den Gastraum betreten, war die Luft angefüllt mit den Aromen exotischer Gewürze, gegrilltem Rindfleisch und Rauch vom Smoker. Es war Mittag und Bobby stand wie üblich in der offenen Küche um das Fleisch für die Gäste zu zerlegen. Er zerteilte die Rinderhälfte mit einer Präzision die eines Chirurgen würdig gewesen wäre. Das Messer führte er in einer Geschwindigkeit die selbst einen klingonischen Dahar-Meister sprachlos gemacht hätte. Auch wenn er die fünfzig Jahre schon überschritten hatte, war er noch in beachtlicher Form und wäre locker als Mitglied einer militärischen Spezialeinheit durchgegangen. In alten Romanen des 21. Jahrhunderts wäre er als Ex-Navy-Seal beschrieben worden. Doch über seine Vergangenheit sprach er nie. Immer wenn er dazu befragt wurde, brummte er und wechselte das Thema. Daher wurde er von vielen auch nur als Brummbär bezeichnet.
Die Tür zum Restaurant flog auf und zwei Sicherheitsoffiziere betraten das Lokal. Sie musterten alle Gäste mit einem kurzen Blick und selbst Bobby wurde misstrauisch beobachtet. Die angeregten Gespräche der Gäste verstummten und ein bedrückendes Schweigen breitete sich aus. Nur das Knistern von brennendem Holz, das Spritzen von Fett in den Pfannen und die leisen Schnitte von Bobbys Messer waren noch zu hören. „Sucht ihr was Bestimmtes?“ brummte Bobby ohne von seiner Arbeit aufzusehen. „Ihr erschreckt meine Gäste.“
Die beiden Offiziere wollten gerade etwas sagen, als sich die Tür erneut öffnete und ein älterer Mann mit weißen Haaren und ebenso weißem Vollbart das Lokal betrat. Dass dieser Mann wichtig sein musste, war selbst dem letzten Gast klar. Dafür hatten die beiden Sicherheitsoffiziere gesorgt. Ohne diese Eskorte wäre er vermutlich als älterer wohlhabender Gentleman durchgegangen. Der Mann wandte sich an seine Eskorte und schickte sie hinaus. Anschließend wandte er sich den Gästen zu. „Entschuldigen Sie diesen Auftritt. Meine Eskorte übertreibt es etwas. Bitte genießen Sie ihr Essen.“ beruhigte der Mann die Gäste und drehte sich zur Küche um. Im Gastraum begann ein nervöses Flüstern was binnen Minuten zur üblichen Gesprächslautstärke anschwoll.
„Ist er schon da?“ fragte der Mann, als er sich Bobby näherte. „Er ist hinten.“ sagte der Inhaber und sah dabei von der Rinderhälfte auf. Er legte das Messer zur Seite und trat um den Arbeitstisch herum auf den Besucher zu. Langsam löste er den Knoten an seiner Schürze. Sorgsam faltete er die Schürze zusammen und legte sie auf eine Ablage. Der alte Mann blieb ungerührt stehen und wartete bis Bobby vor ihm stand. Er seufzte tief und fragte: „So ohne Aufsehen zu erregen geht es wohl nicht alter Freund?“ Der alte Mann begann zu lächeln und zuckte mit den Schultern. „So bin ich eben.“ Nach einer kurzen Umarmung, die sich wie ein Schraubstock anfühlte, führte Bobby seinen Freund durch die Küche. Sie gingen zu einem weiteren Gastraum der erst kürzlich angebaut wurde und dem allgemeinem Publikum noch nicht zugänglich war. „Er ist seit gut einer Stunde hier und mittlerweile etwas angefressen.“ sagte Bobby, bevor er seinen Freund alleine ließ.
Shawn Stocker sah seinem Freund noch kurz hinter her und wandte sich dann dem Gastraum zu. Es standen etwa zehn Tische in dem kleinen rustikalen Raum. Holz war das dominierende Material, sowohl für den Boden als auch für die Wände. Es sollte den Stil einer alten Ranch aus dem 20. Jahrhundert wiederspiegeln und einem alten Farmhaus ähneln. An einem Tisch in der hinteren Ecke saß der Mann den er suchte. Schweigend setzte er sich an den Tisch. Er ist alt geworden, dachte Stocker und musterte sein Gegenüber. Die Jahre des Krieges waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Aber wer konnte schon behaupten das dreißig Jahre voller Konflikte keine Auswirkungen auf einen hätte. Zwei Angriffe der Borg binnen weniger Jahre, der klingonische Bürgerkrieg, der Krieg gegen das Dominion, die Dämonen, der Zusammenbruch des Romulanischen Imperiums und zuletzt die Sulivarinvasion. Die Föderation hatte leiden müssen, das stand außer Frage. Die Diplomanten hatte alle Hände voll damit zu tun, die Föderation zusammen zu halten. Von der einstigen friedlichen Erforschung der Galaxie war kaum noch etwas übriggeblieben. Alleine das war der Grund, warum Männer wie dieser existierten. Stocker räusperte sich und wartete bis sein gegenüber von den Papierakten aufsah die den gesamten Tisch füllten.
„Dagegen solltest du was machen.“ brummte der Mann ohne aufzusehen. „Vielleicht solltest du deine Lieblings Ärztin mal drauf schauen lassen. Oder soll ich dir auch noch meine Forschungsabteilung überlassen um deinen Husten zu untersuchen?“ Der Mann sah auf und war offensichtlich stocksauer. „Ihr werdet schlampig.“ fauchte Stocker zurück. Wut brannte in den Augen des Mannes auf und es kostete Ihn alle Mühe nicht über den Tisch zu springen und Stocker anzugreifen. „Wir werden,…“ begann der Mann und schien sich vor Wut an den eigenen Worten zu verschlucken. „Das ist ja wohl eine Frechheit. Wir …“
„Ihr seid aufgeflogen.“ unterbrach Stocker den Mann. „Von einer kleinen Gruppe Terroristen seid Ihr faktisch enttarnt worden.“ Der Mann zuckte zurück als hätte Stocker ihn geschlagen. „Seien wir doch mal ehrlich.“ setzte Stocker nach. „Ist es nicht so, dass euch eine Spezialeinheit abgehauen ist, weil sie mit euren Methoden nicht so ganz einherging und sich selbst The Bureau nannte?“ Stocker wartete auf eine Erwiderung, doch es kam nichts. „Ist es nicht so, dass diese Gruppe am Rande der Legalität arbeitete, selbst für Eure Verhältnisse? Und der Geheimdienst der Flotte immer wieder ausbaden musste, was Ihr nicht unter Kontrolle bekommen habt?“
„Wir haben Sie unterschätzt.“ begann der Mann mit einer Rechtfertigung. „Ach wirklich?“ unterbrach Stocker. „Ja!“ fauchte der Mann zurück. Stocker konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es hatte über Jahrzehnte Gerüchte über eine verborgene Organisation in der Sternenflotte gegeben. Dem Geheimdienst lagen seit einigen Jahren sogar ein paar Namen vor, die Mitglieder einer Gruppe sein sollten, die sich Sektion 31 nannte. Beweisen konnte man jedoch nie etwas. Doch seit dem Sulivarkonflikt hatte Stocker ein paar Quellen mehr bekommen. Es hatte ihn nur ein paar Gefallen gekostet und er hatte bei der Sektion ein offenes Scheunentor gefunden. Seitdem war die Sektion 31 nicht mehr ganz so geheim, wie sie es gerne gewesen wäre. Mitgliederlisten, eingeschleuste Agenten und Projektlisten hatte Stocker einsehen können und sich ein paar besondere Namen als Informanten herangezogen. Einige Aktionen der Sektion hatte Stocker unterbrechen müssen und hatte die Informationen an den Geheimdienst der Flotte weitergegeben, andere Aktionen ließ er zu, auch wenn die Methoden fragwürdig waren. Als allerdings ein Name in den Personalakten auftauchte, wurde er neugierig und beobachtete ihre Aktionen genauer. Ihr schneller Aufstieg innerhalb der Sektion überraschte ihn nicht und war bei Ihrer Vergangenheit zu erwarten. Auch die quasi Meuterei gegenüber der Sektion entlockte ihm eher ein Schmunzeln und weniger Empörung.
Stocker ließ seinen Blick über den Tisch wandern und betrachtet die Akten, welche sein Informant mitgebracht hatte. „Sind das alle Akten?“ fragte er und kam damit zum Grund ihres Treffens. „Ja, das ist alles was das Team im letzten Jahr abgeliefert hat.“ brummte der Mann und schob die oberen Akten zu Stocker rüber. Er begann darin zu blättern und entdeckte ein paar bekannte Namen. „Jenna Meloy?“ er schaute von der Akte auf. Sein Informant nickte. „Sie haben sie nach dem Valley Forge Zwischenfall zu ihrem Onkel zurückgebracht.“ Er erinnerte sich an die junge Frau die völlig verstört auf der Starbase 203 angekommen war. Sie hatte als eine der wenigen auf der U.S.S. Valley Forge ein Experiment überlebt. Es waren Naniten aus einem Frachtcontainer entkommen und darauf programmiert worden zu töten. Die Opfer verbrannten quasi von innen. „Sie steckte da mit drin?“ murmelte Stocker ungläubig als er die Akte weiterlas. „Vermutlich.“ bestätigte sein Informant. „Der “Unfall“ ihres Onkels, war vermutlich keiner. Seitdem wurde Jenna Meloy nicht mehr gesehen.“ Stocker erinnerte sich noch gut an die Beisetzung seines alten Freundes und wie erschüttert Jenna gewesen war. Aber wenn es stimmte, was in diesen Akten stand, war sie direkt für seinen Tod verantwortlich. Er legte die Akte beiseite und nahm sich die nächste. „Der Baru’Dai -Zwischenfall.“ las Stocker auf dem Einband des Ordners. „Habt ihr hier was Neues?“ fragte er.
„Nicht wirklich. Allerdings scheint es gesichert zu sein, dass es hier zum ersten Einsatz der Primärwaffe der Saratoga gekommen ist. Mit offensichtlich katastrophalen Ausgang.“ Die Baru’Dai waren ein friedliebendes Volk die technologisch zwar hochentwickelt waren, aber bis vor wenigen Monaten keinen Kontakt zur anderen Planeten aufgenommen hatte. Nach dem Sulivar Konflikt war ihnen jedoch bewusst geworden, wie verletzlich sie waren. So nahm ein kleine Delegation Kontakt auf, was zu einer großen Konferenz und schließlich zum Beitritt in die Föderation führen sollte. Doch hier zeigte die Terrororganisation „the first humans“ zum ersten Mal hier hässliches Gesicht. „…scheint gesichert?“ wiederholte Stocker. „Welche andere Möglichkeit gäbe es? Es gibt keine Sensorenaufzeichnungen oder Überlebende die berichten könnten, was sie gesehen haben“ bestätigte der Mann. „Und die first humans, was wisst ihr über die?“ fragte Stocker und nahm sich eine neue Akte. „Nicht viel mehr als Ihr.“ sagte der Mann und schob Stocker eine sehr dünne Akte über den Tisch. Er öffnete die Akte und begann zu lesen. „Da wisst ihr ja über ein neugeborenes Kind mehr.“ murmelte Stocker und las weiter. „Biologische und technologische Experimente?“
„Der Valley Forge Vorfall scheint ein Experiment der first humans gewesen zu sein. Genauso wie Dr. Trescot in seiner Dilithium Mine für die Terrorgruppe ein Labor zur Verfügung stellte. Außerdem gibt es das Gerücht, dass ein Mann der sich selbst Captain Boone nennt, als Scout für die Gruppe fungiert um neue Standorte für Tests zu finden und Material zu beschaffen.“ Beim Namen Boone schaute Stocker auf. „Ja, ich weiß.“ brummte der Mann und nahm Stocker die Akte wieder ab. „Der hat halb Abraxas geplündert, während die Crew völlig benebelt alles machte was er wollte.“
Stocker blinzelte verwirrt und fragte: „Willst du mir sagen, dass dieser Vorfall ein Experiment der first humans war?“ „Nein.“ antwortet der Mann. „Kein Experiment, aber vermutlich hat er ein Gerät dabei gehabt was er benutzte um die Crew zu manipulieren. Wir haben Berichte von anderen Kolonien und Außenposten wo etwas Ähnliches passierte.“
„Wir haben also eine bisher unbekannte Terrororganisation, die sich selbst “the first humans“ nennt. Sie schrecken nicht davor zurück, ganze Planeten zu vernichten, wie auch immer ihnen das gelingen mag. Experimente an Lebensformen scheint ein Teil ihres normalen Vorgehens zu sein.“ rekapitulierte Stocker und zählte die Punkte an den Fingern ab. „Und ihnen ist ein stark bewaffneter und geheimer Prototyp der Föderation in die Finger gekommen. “ stichelte der Mann mit einer nahezu diabolischen Freude. Er konnte es nicht abstreiten, aber es musste Stocker nicht gefallen. „Offensichtlich.“
„Was ist eigentlich mit deinem Mann, der Captain der Saratoga hätte werden sollen? Der scheint ja einiges über den Kahn zu wissen.“ fragte der Mann, offensichtlich um zu weiter zu bohren und Stocker zu ärgern. „Mit meinem Mann?“ begann Stocker. „Der Mann, der während einer Aktion von Euch aus der Flotte gerissen wurde und letztlich in deinen Fängen landete? Wäre er von Euch nicht aufgegriffen worden, wäre er vermutlich jetzt Captain der Saratoga und wir hätten das Problem nicht. Aber nein, die Sektion macht ja immer alles richtig.“ Er klappte die letzten Akten zu und warf seinem Informanten einen bösen Blick zu. „Und ja, ich habe dafür gesorgt, dass er bei jemanden landet dem ich vertraue und er nicht ganz so tief abrutscht wie andere Offiziere.“
„Bei Ihr?“, fragte der Mann entsetzt. Stocker nickte und ein Lächeln breitete sich auf den Lippen aus. „Die Frau war wahnsinnig. Unberechenbar. Wir hätten sie…“ „Niemals erwischt.“, unterbracht Stocker den Wutausbruch seines Gegenübers. Es dauerte ein paar Sekunden bis sich der Informant wieder gefangen hatten. „Aber das ist ja auch egal.“, begann der Mann und ein selbstzufriedenes Grinsen breitete sich in dessen Gesicht aus. „Die Natur hat das bereits für uns erledigt.“ Der Mann warf Stocker ein Padd über den Tisch auf dem die Schlagzeilen des Federation News Networks in großen Buchstaben zu lesen war Hochrangiger Sternenflotten-Offizier vermisst. Er las den ersten Satz der Nachricht: Seit einem Erdrutsch auf Bajor wird ein hochrangiger Sternenflotten-Offizier vermisst. Ohne eine Miene zu verziehen schob Stocker das Padd wieder über den Tisch zurück und stand auf. „Bist du dir da so sicher?“ sagte Stocker und schaute dem Informanten tief in die Augen. Mit einigen schnellen Handgriffen, sammelte Stocker die für Ihn interessanten Akten ein und wandte sich dann seinem Gesprächspartner nochmal zu. Er beugte ich zu ihm hinunter und flüstert ihm ins Ohr: „Träum weiter!“ Als sich Stocker aufrichtete, war sein Informant bleich und seine Gesichtsfarbe war kaum von der weißen Tischplatte zu unterscheiden. „Es war mir wie immer ein Vergnügen.“, sagte Stocker und ließ seinen Informanten sitzen.
Als Stocker den Gastraum verließ und die Küche durchquerte, nickte er Bobby noch einmal kurz zu. „Gibt dem Mann nochmal einen starken Drink auf meine Rechnung.“, sagte Stocker und verließ das Lokal.