Die Anhörung
Donnerstag 10. Dezember 2392
Sternzeit: 69942,28
Der Sonnenaufgang über der Bucht von San Francisco war eigentlich ein sehr schöner Anblick. Heute verhüllte allerdings dichter Nebel die Sicht auf die Golden Gate Bridge. Eine dicke Schicht Raureif überzog die Bäume und Sträucher der weitläufigen Gartenanlagen des Sternenflotten Hauptquartiers. Das passt ja, wie die Faust aufs Auge, dachte Steven O’Seal. Er wartete nun schon zwei Stunden auf diesem trostlosen Korridor und seine Stimmung glich von Minute zu Minute mehr dem Wetter draußen. Eigentlich hatte er erwartet direkt nach seiner Ankunft auf der Erde vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden oder zumindest Besuch von Offizieren des J.A.G. zu bekommen. Aber nichts dergleichen war passiert. Stattdessen durfte er nachhause, musste sich lediglich einer umfangreichen medizinisch-psychologischen Untersuchung stellen und sollte sich heute um acht Uhr bei der Sicherheit der Sternenflotte melden. Warum man Ihn jedoch zur medizinischen Fakultät der Akademie gebracht hatte war ihm schleierhaft.
„Alles in Ordnung Steven?“, fragte eine junge Frau, die neben ihm auf der Bank saß und von ihrem Padd aufschaute. „Du wirkst nervös?“ Er kannte die Frau schon eine Weile. Commander Jenna Meloy, sie war die Therapeutin, die man Ihm zugewiesen hatte, als er von der Crew der Atlantis aufgegriffen worden war. Eins musste er ihr lassen, sie war hartnäckig und hatte es geschafft durch seine Abwehr zu kommen. Und wenn er auch nicht wusste, wie es passierte, aber mittlerweile war sie fast zu einer Freundin geworden. „Stöberst du schon wieder in meinen Gedanken Jenna?“, brummte Steven und stand auf. Er war verspannt und jeder Muskel tat ihm weh. Das Warten war furchtbar und raubte ihm jeden Nerv.
„Das brauche ich gar nicht.“, erwiderte die Frau und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich kenne dich nun schon eine Weile und weiß, wie du tickst.“
„Ach ja?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich ihr gegenüber an die Wand und musterte sie. „Zwei Monate auf der Atlantis und du glaubst mich zu kennen?“
„Du bist ein Sturer Esel.“, sagte die sie trocken ohne auch nur eine Spur von Anschuldigung oder Vorwurf. Es war eine einfache Feststellung, mit der sie nicht mal falsch lag. Er war wirklich Stur und besonders wenn es darum ging, in seinem Privatleben rum zu pfuschen. Sie legte das Padd beiseite und stand auf. „Beruflich nimmst du alles sehr genau und hast dir einen Namen gemacht. Offiziere unter deinem Kommando haben vertrauen zu dir und stehen dir bei.“ Sie ging langsam auf Ihn zu und beobachtet Ihn genau. Er kannte diesen Blick und war sich sicher, dass sie jede seiner Regungen genau beobachtet und einschätze. „Es braucht Zeit, teilweise viel Zeit, bist du mit anderen warm wirst und Vertrauen aufbauen kannst. Aber wenn dieses Vertrauen erstmal da ist, kann man erkennen, wie warmherzig und sensibel du eigentlich bist.“
Er senkte den Blick, war er wirklich ein so offenes Buch? „Für deine Familie, Freunde oder deiner Crew, würdest du fast alles tun ohne zu Fragen warum. Na, wie mache ich mich?“
„Ziemlich gut.“, murmelte er, schaute auf und war überrascht, wie nahe sie ihm gekommen war. „Jenna ich…“ begann Steven, aber sie unterbrach Ihn mit einem Kopfschütteln. „Du weißt nicht was du hier sollst! Warum du wieder die Uniform trägst und was sie bei dieser Anhörung von dir wollen.“
„So in etwa.“, sagte Steven und konnte die Hilflosigkeit und Trauer nur schwer aus der Stimme verbannen. „Ich habe alles verloren, was mir wichtig war.“ Er stieß sich von der Wand ab und drängte sich an Ihr vorbei. Die paar Schritte zum Fenster vielen Ihm wieder deutlich schwerer. Gefühle, von denen er geglaubt hatte, sie begraben zu haben, kamen wieder an die Oberfläche. „Von meinen Kindern fehlt seit zweieinhalb Jahre, jede Spur. Die Föderation unternimmt nichts, um die bei der Evakuierung beteiligten Schiffe zu finden.“ Mit jedem Wort kroch mehr und mehr Wut in seine Stimme. Jenna trat ebenfalls ans Fenster und stellte sich neben ihn. Er spürte den sanften Druck ihrer Hand auf seiner Schulter und er wäre beinahe zusammengezuckt. Die Berührung kam unerwartet und auch ihre Worte brannten ein wie ein glühender Schürhaken im Herzen. „Und von deiner Frau fehlt ebenfalls jede Spur.“ Sie sagte es völlig ruhig und ohne jede Spur der Bosheit. Er wusste genau, dass sie das nur tat, um ihn zu sensibilisieren. Er schloss die Augen bei Ihren Worten und wieder schossen die Bilder der zwei kollidierenden Schiffe in seinen Kopf. Erneut sah er das Trümmerfeld, als der grüne Lichtblitz erloschen war. „Ich gehöre hier nicht mehr her.“, flüsterte Steven mehr zu sich als zu Ihr. „Ich habe meine Versprechen gegenüber Cordie und auch Maneja nicht halten können.“ Jenna schaute ihn fragend an: „Maneja, wer ist das?“
„Meine erste Frau.“, murmelte Steven und vermied es sie anzusehen. „Sie nahm sich das Leben.“ Er spürte, wie sie ihre Hand von seiner Schulter nahm. Sie ging auf Abstand und ihr Tonfall wurde wieder professioneller. Auch wenn etwas in ihrer Stimme lag, was er nicht ganz einordnen konnte. „Das hast du mir bisher nie erzählt.“ Er atmete tief durch und sah zu ihr. „Wir hatten uns getrennt und Sie hatte sich versetzen lassen. Aber wenige Wochen danach erreichte mich die Nachricht, dass sie leblos in Ihrem Quartier aufgefunden wurde. Ich weiß nicht, was sie dazu getrieben hat. Ich hatte damit abgeschlossen.“ Den Abschiedsbrief, indem sie ihm zwar keine Affäre vorwarf, aber die Freundschaft zu Cordie missdeutete, verschwieg er.
Am anderen Ende des Flurs öffnete sich eine Tür und zwei Offiziere kamen auf sie zu. „Captain O’Seal, man erwartet Sie.“, sagte einer der Offiziere und deutet ihm an ihnen zu folgen. Er nickte kurz, sah noch einmal zu Jenna und folgte den beiden Offizieren den Flur hinunter.
Jenna sah noch für einen Moment aus dem Fenster, auch nachdem Steven und die Offiziere bereits verschwunden waren. Sie machte sich sorgen um Ihn. Sie waren sich auf der Atlantis begegnet, als sie von Captain Belmar den Befehl bekommen hatte ihn psychologisch zu betreuen. Die ersten Wochen hatte sie damit verbracht durch seinen Eispanzer zu kommen. Er hatte sich hinter einem Schutzwall aus Sarkasmus, ungehobelter Arroganz und Verschwiegenheit versteckt. Er gehörte definitiv zu einem ihrer schwersten Fälle von Traumata und Stress, den sie bisher gehabt hatte. Und dennoch war sie erstaunt, wie schnell er unter Zwang zu seiner alten Stärke zurückfinden konnte. Auch wenn der Zusammenbruch danach, meist extrem war. Steven war in der Lage für begrenzte Zeit den Schein der Normalität aufzubauen. Wie es dabei in seinem Inneren aussah, wusste er gekonnt zu verbergen. Ein Psychologe ohne telepathische Fähigkeiten hätte ihn völlige Gesundheit attestiert und wenn sie nicht in seinem Nachbarquartier gewohnt hätte, hätte sie das vermutlich auch getan. Aber in den Zeiten, wenn er schlief und sein Unterbewusstsein die Kontrolle übernahm, brach die Fassade des ach so gesunden Captain Steven O’Seal zusammen.
Das erste Mal war sie überrascht gewesen, als die starken Emotionen seiner Albträume in ihren Geist eindrangen. Es hatte sie überwältig und auch erschreckt. Ungewollt hatte sie sie beide aus dem Schlaf gerissen. Er hatte es bemerkt und war stink sauer gewesen. Tage lang sprach er nicht ein Wort mit Ihr. Sie schwor sich vorsichtiger zu sein und sich selbst besser zu schützen. Erst später erfuhr Sie, dass Steven eine Schwägerin hatte die als Betazoidin immer ungefragt in den Gedanken anderer herumspukte und antworten auf Fragen gab, die niemand laut gestellt hatte. Das erklärte seine Abneigung gegen Sie, bot ihr aber auch die Möglichkeit ihm besser zu helfen. Steven war offensichtlich trainiert seine Gedanken zu kontrollieren und abzuschirmen. Auch wenn diese Abschirmung für einen Telepathen kein Hindernis gewesen wäre, so reichte es aus um aus dem allgemeinem Stimmen Salat den jeder Telepath auf einem Schiff ausgesetzt war zu verschwinden.
Jenna seufzte leise und setzte sich wieder auf die Bank. Sie starrte aus dem Fenster und knetete nervös die Hände. Was würde bei dieser Anhörung herauskommen? Würden Sie ihn verurteilen? Würde er aus der Sternenflotte geworfen oder sogar ins Gefängnis gesteckt werden? Sie hatte Angst. Angst um Ihn. Und um sich selbst. Wie unprofessionell war sie eigentlich? Er war Ihr Patient gewesen. Zumindest am Anfang war es so gewesen. Aber mittlerweile…
Sie mochte ihn. Mochte das Gefühl in seiner Nähe zu sein und seine Stimme zu hören. Lange Zeit sprach er sie nur dem Rang oder ihrem Nachnamen an. Aber als er sie zum ersten Mal beim Vornamen angesprochen hatte, wurde ihr warm ums Herz. Sie wollte ihm unbedingt helfen. Aber diese Enthüllung vom Selbstmord seiner ersten Frau traf sie tiefer als sie sich eingestehen wollte. Sie kannte zwar seine Dienstakte und wusste das er schon einmal verheiratet war, aber wie diese Ehe endete, stand da nicht drin. Er verbarg offensichtlich noch einiges. Sie bekam Angst, bei dem Gedanken was er tun würde, sollte seine Frau oder seine Kinder ebenfalls Tod sein.
Jenna sah sich um und erschrak, als sie den älteren Mann sah, der auf einer zweiten Bank saß und ein Padd in der Hand hatte. Ihr Padd. „Sie mögen Ihn wirklich sehr, oder?“, fragte der Mann. Jenna blinzelte zweimal und erkannte erst jetzt das ein Admiral vor ihr saß. „Äh, ja Sir.“, erwiderte sie ein wenig verunsichert. Als sich der Admiral erhob, war sie ebenso schnell auf den Beinen und nahm Haltung an. „Stehen Sie bequem Commander Meloy.“, begann der Admiral und reichte Ihr das Padd zurück.
Woher kannte er ihren Namen?
„Bedrängen Sie ihn nicht. Seien Sie als Freund für Ihn da.“, setzte der Admiral nach. „Das kann er sicher gebrauchen, aber das da.“ Er deutete auf das Padd. „Das sollten Sie sich nochmal überlegen.“ Mit diesen Worten drehte sich der Admiral um und lies Jenna mit ihren Gedanken allein.
Der Raum war dunkel und stickig. Es gab keine Fenster und die meisten Stühle und Tische waren an die Seite geräumt worden. Nur ein kleiner Tisch und ein Stuhl standen in der Mitte des Raumes. Dem gegenüber war ein weiterer, größerer Tisch an dem fünf Personen saßen und scheinbar in klassischen Papierakten blätterten. Das soll es also sein, dachte Steven und näherte sich dem Tisch in der Mitte. Steven hatte erwartet in einem kleinen Büro mit einem oder zwei Offizieren der Sternenflotten Sicherheit zu sprechen. Aber das hier war schon ein richtiges Tribunal. Es fehlte nur noch das Publikum. Von den fünf Personen am Tisch kannte er niemanden. Verwunderlich war jedoch das nur drei von ihnen Admiräle der Sternenflotten waren. Als er sich setzte, sah er sich nochmal um. Keine Anwälte, keine Geschworenen. Es war so dunkel, dass man aus der Mitte des Raumes, kaum die Wände erkennen konnte.
„Captain Steven O’Seal.“, begann der Admiral in der Mitte. „Geboren am 31. Januar 2355 in San Fransisco auf der Erde. Letztes Kommando an Bord der Starbase 203 und der U.S.S. Endelon. Ist das korrekt?“
Steven nickte, „Ja, das ist korrekt.“
„Diese Anhörung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es wird keine Video- oder Audioaufzeichnung dazu geben. Alles hier Gesagte ist streng geheim und darf diesen Raum nicht verlassen. Haben Sie das verstanden?“ Steven runzelte die Stirn, nickt jedoch. Vielleicht würde noch klar werden, was hier gespielt wird.
„Den Vorsitz dieser Anhörung führt Admiral Jason Hunt, Assistant Direktor der Föderationssicherheit. Als Beisitzer sind geladen, Admiral Nora Taylor, Koordinatorin der Sternenflotten Operationen und Commodore Nathan Wallace.“
Eine ungewöhnliche Zusammensetzung, dachte Steven und musterte die genannten Personen. Bei einem Disziplinarverfahren wäre normalerweise ein Vertreter der Personalabteilung, der Sternenflotten Sicherheit und ein Offizier des JAG anwesend. Außerdem hätte man einen Rechtsbeistand gestellt, aber das war hier nicht der Fall.
„Sie wurden vor zwei Monaten von einem Außenteam der U.S.S. Atlantis auf dem Planeten Ulara 5 aufgegriffen, nachdem Sie vor zwei Jahren unerlaubt ein Shuttle der U.S.S. Endelon entwendet und Ihren Posten als Kommandierenden Offizier des Schiffes verlassen hatten.“, begann Admiral Hunt aus einem Bericht zu zitieren und sah auf.
„Ist das eine Frage oder eine Feststellung Sir?“, fragte Steven und musterte die fünf Männer. „Eine Tatsache!“, erwiderte Admiral Hunt. Er klappte eine der Akten auf und überflog mehrere Seiten, bevor er weitersprach: „Sie haben vor Ihrem verschwinden mehrfach bei der Sternenflotte um Erlaubnis gebeten, die U.S.S. Challanger suchen zu dürfen. Dies wurde vom Oberkommando abgelehnt, da das Schiff als zerstört im Kampf gelistet wird. Können Sie uns was dazu sagen?“
„Die offiziellen Akten hierzu sind unvollständig.“, berichtete Steven. „Die Einschätzung, dass die U.S.S. Challanger zerstört sei, beruhte einzig auf den optischen Beobachtungen der Kollision zwischen der Challanger und der Agamemnon. Es hat sich niemand die Mühe gemacht, die Daten der Sensoren aller anwesenden Schiffe auszuwerten.“ „Außer Ihnen!“, unterbrach Admiral Hunt.
„Ich brauchte nicht mal die Daten aller Schiffe, um genügend Indizien zu haben, dass beide Schiffe nicht zerstört wurden.“, setzte Steven fort. „Und was soll mit den Schiffen passiert sein?“, fragte Commodore Wallace neugierig.
„Die U.S.S. Agamemnon wurde von Admiral McMahon mit fremder Technologie ausgestattet, die reisen durch eine Art Portal möglich machten.“, sagte Steven. „Diese Form des Reisens, hinterließ jedes Mal eine bestimmte Strahlensignatur, die hier ebenfalls nachgewiesen werden konnte. Das steht alles in meinem Bericht und meinen Anträgen, sowie den Logbüchern zu den Vorfällen.“
Die Männer tauschen untereinander Blicke aus und Steven konnte noch immer keine Richtung erkennen, in welche diese Befragung gehen sollte. Wurde er nun angeklagt oder nicht? Wer waren die anderen zwei Männer?
„Anfang des Jahres 2390 wurden Sie von einem Untersuchungsausschuss zum New Berlin Zwischenfall befragt. Können Sie uns sagen, was dieser Vorfall mit Admiral McMahon, der Challanger und der Agamemnon zu tun hat?“ fragte Admiral Hunt und sah dabei von einer deutlich dickeren Akte auf in der er eben noch gelesen hatte.
„Ich weiß nicht, wovon sie reden.“, sagte Steven kühl.
„Captain O’Seal, Sie stehen unter Eid.“, begann Admiral Hunt und musterte Steven ernst. „Ach wirklich?“, unterbrach Steven den Admiral. „Seit wann?“ Er musterte die fünf Männer erneut und stand auf. „Ist das ein Kriegsgerichtsverfahren? Wenn ja, wo sind die Anwälte? Ankläger, Verteidiger, Geschworene?“
Steven sah sich demonstrativ um und deutet auf den leeren Saal. Erst jetzt viel ihm eine Person in der hintersten und dunkelsten Ecke auf. Er konnte nur leider nicht erkennen, wer es war. Er wandte sich wieder den Richtern zu. „Was wird das hier? Erzählen was von geheimer und nicht öffentlicher Sitzung. Für was? Was wird mir Vorgeworfen?“, mit jedem Wort wurde Steven lauter. Es ärgerte ihn so vorgeführt zu werden. Außerdem gefielen ihm die Fragen nicht. Wenn diese fünf Männer Einsicht in hoch geheimes Material der Sternenflotte hatte war das ok. Aber was wäre, wenn nicht? Die Art der Fragen deutet zwar an, dass die Männer über einige Fakten des Icoram und New Berlin Zwischenfalles Kenntnis hatten, aber die Unterlagen dazu waren unter Verschluss.
„Captain O’Seal, zügeln Sie sich.“, begann Admiral Hunt und setzte ruhig fort: „Aus dieser Anhörung können wir sehr schnell ein Verfahren werden Fahrlässigkeit im Dienst, Befehlsverweigerung, Diebstahl von Föderationseigentum und Amtsmissbrauch machen. Wenn Ihnen das lieber ist. Ihre Taten seit dem Icoram Vorfall bieten genügend Beweise, um Sie mit diesen Anklagepunkten für eine ganze Weile ins Gefängnis zu bringen.“
„Ich nehme Ihnen die Arbeit ab.“, sagte Steven völlig ruhig und stand auf. „Sowohl zu Icoram 4, als auch der Sache um New Berlin gibt es Aussagen von mir und einer ganzen Menge anderer Offiziere. Das liegt dem Oberkommando alles bereits vor. Fragen Sie also dort nach, wenn Sie was wissen wollen.“ Mit wenigen Schritten hatte er den Raum durchquert und dabei seinen Kommunikator und die Rang Pins abgenommen. „Wenn Sie einen Sündenbock für Versäumnisse der Sternenflotte brauche, können Sie sich jemand anderen suchen.“, mit diesen Worten lies Steven den Kommunikator und die Rang Pins auf den Tisch fallen und wandte sich ab. Er war es leid sich ständig zu verteidigen. „Sie machen einen großen Fehler Captain O‘Seal“, hörte er Admiral Hunt in ruhigen Tonfall sagen und blieb stehen.
„Mein Fehler war es, einem alten Mann gefolgt zu sein und wieder zur Sternenflotte zu gehen. Mein Leben und meine Familie zu riskieren und dann, wenn es darauf ankommt vom Oberkommando allein gelassen und zum Sündenbock gemacht zu werden.“, erwiderte Steven mit einem bitteren Unterton in der Stimme. Ohne ein weiteres Wort verließ den Saal.
Ein langsames Klatschen erklang aus einer dunklen Ecke des Büros, als Captain O’Seal den Raum verlassen hatte. „Na, das habt ihr ja richtig gut hinbekommen.“ Admiral Shawn Stocker trat aus dem Schatten und näherte sich langsam dem Tisch der fünf Richter. „Ich dachte wir waren uns einig, dass er einen kleinen Klaps auf die Finger bekommt und zurück in den Dienst darf.“
„So einfach ist das nicht Stocker, das wissen Sie.“, begann der Admiral Hunt und schloss die Akten vor sich. „Sie und Captain O’Seal habe in Ihrem Sektor eine Menge Staub aufgewirbelt und die Föderation massiv in Erklärungsnot gebracht. Das IRC, McMahon, Ihre Situation, einen Angriff auf das Oberkommando, New Berlin. Soll ich weiter machen?“
„Ich sagte Ihnen bereits, dass wir lange Zeit nicht genügend Beweise hatte um das Oberkommando früher zu Informieren. Wir wollten keine Panik auslösen, wie damals als die Gründern überall aufgetaucht sind.“ Stocker bemühte sich seine Ungeduld zu verbergen, da er dies alles schon vor Wochen erzählte. „Sie haben mich damals auf McMahon angesetzt. Ihnen war zwar nicht klar, worin der Mann seine Finger alles drin hatte, aber wir haben gehandelt. Haben eine Verbindung zum IRC gefunden und aufgedeckt, dass er mit Mächten spielt, von denen er besser die Finger von gelassen hätte. Wie weit das ganze ging, konnten wir nun wirklich nicht ahnen.“ Stocker nahm sich eine der Akten, die auf dem Tisch lagen und begann darin zu Blättern. „Das vom IRC schon seit Jahrzehnten Experimente gemacht wurden und McMahon eigentlich nur ein Opfer seines Machthungers und seiner eigenen Dummheit war, haben wir erst nach New Berlin herausgefunden.“
„Sie glauben also, dass Captain O’Seal der Flotte noch nützlich sein kann?“, fragte Admiral Hunt und beobachtet Stocker sehr genau. „Ja, das glaube ich.“, begann Stocker. „Er weiß, woran das IRC gearbeitet hat und was sie gefunden haben. Er kennt die Details von McMahons Machenschaften. Viele Details der Technologie die McMahon gefunden und eingesetzt hat, ist von Ihm analysiert worden. Außerdem ist er persönlich involviert, da seine Frau und seine Kinder…“
„Und genau da ist das Problem.“, unterbrach der Admiral die Ausführungen von Stocker. „Ein Offizier, der so von Rache geleitet wird…“, setzte der Admiral an, wurde diesmal jedoch von Stocker unterbrochen. „Steven wird nicht durch Rache geleitet. Der Verlust seiner Familie hat Ihn aus der Bahn geworfen. Ich kenne Ihn seit frühster Kindheit und er hat immer eine oder zwei starke Personen in seinem Umfeld gehabt an denen er sich Orientierte. Die, ohne es zu wissen, für ihn eine Stütze waren. In seiner Jugend war ich es und später seine zweite Frau. Erst mit Ihr an seiner Seite, blühte er so richtig auf. Er nutzte Fähigkeiten, die schon immer da waren, welche er sich aber nie traute einzusetzen. Und jetzt steht er vor dem nichts.“
„Dennoch hat er Befehle verweigert und sich von seinem Dienstposten unerlaubt entfernt.“
„Haben Sie sich auch angesehen, welche Befehle er verweigerte?“, fragte Stocker ohne jede Emotion. Schloss die Akte in der er geblättert hatte und warf sie auf den Tisch zurück. „Ausschließlich Befehle die Ihn als Person betrafen und gegen seine Überzeugungen gingen. Man wollte Ihn dazu zwingen, die Suche nach seiner Familie einzustellen und drohte Strafe an. Wie würden Sie reagieren, wenn ich Ihnen bei Strafe Befehlen würde, Sie dürften nicht mehr Nachhause zu Ihrer Tochter?“ Als der Admiral schwieg, setzte Stocker fort: „Und genau dann kommen wir zum unerlaubten Entfernen. Er hat das Kommando seines Schiffes an den Ersten Offizier abgegeben und ist mit einem Shuttle los geflogen seine Familie zu suchen. Er wollte offensichtlich die Crew nicht in eine Position bringen, in denen sie Befehle verweigern müssten, wenn Sie ihm weiterhin helfen würden.“ Admiral Hunt seufzte und schaute zu seinen Kollegen. „Jason.“, begann Stocker und versuchte es auf der persönlicheren Ebene. „Er ist ein guter Offizier und seine Dienstakte ist bis zu diesem verschwinden tadellos. Das einzige Problem ist aktuell seine Psyche. Und wer könnte es Ihm schon übelnehmen. Schließlich gilt seine ganze Familie offiziell als verstorben.“ Stocker griff eine der Akten, schlug sie auf und drehte sie Admiral Hunt hin. „Obwohl wir beide genau wissen, dass er recht hat. Das die Challanger nur verschwunden ist und dass zwanzig Schiffe, die bei der Evakuierung der Starbase mitgewirkt haben ebenfalls spurlos verschwunden sind.“ Er klopfte auf den Bericht in der Akte und wandte sich kurz ab um durch den Raum gehen. In dem Eifer die Ereignisse von New Berlin und Icoram 4 zu vertuschen, um die Öffentlichkeit nicht weiter zu ängstigen, hatten die sie die Psyche einiger guter Offizier und Familien schwer zugesetzt. Die Starbase hatte zum Zeitpunkt des Angriffes zwar keine vollständige Belegung, aber es waren immer noch knapp über 100.000 Personen, die evakuiert werden sollten. Laut den Akten hatten sie nicht mal die Hälfte geschafft, als der Angriff von McMahons Flotte begann. Wenn er großzügig zu sich selbst war, waren es locker 50.000 Personen, deren Angehörige und Freunde, die bis heute im Unklaren gelassen wurden oder denen erzählt wurde, dass keine Hoffnung mehr bestünde.
„In Ordnung.“, begann Admiral Hunt und schlug die Akte zu. „Sein Offizierspatent wird pausiert. Offiziell muss allerdings eine Untersuchung zu den Vorwürfen in seiner Akte vermerkt werden.“ Stocker seufzte und schüttelte den Kopf. „Dann kannst Du ihn auch gleich verurteilen und seine Karriere begraben.“
„Das hat er eigentlich schon selbst getan.“, erwiderte Hunt und warf Stocker den Kommunikator zu, den O’Seal auf dem Tisch zurückgelassen hatte. „Die Vergehen und sein Verhalten eben, würden locker mehrere Jahre Gefängnis rechtfertigen, Shawn. Das weiß du ganz genau.“ Ja, das wusste er nur zu gut. Aber dennoch wollte er Steven nicht so abtreten lassen. Er wollte ihn Möglichkeit offenlassen, seine Familie wiederzufinden. „Wie wäre es mit Hausarrest.“, begann Stocker. „Er hat ein kleines Blockhaus in Kanada.“ Er beobachtet Admiral Hunt und schien gewonnen zu haben, denn die Anspannung im Gesicht des Admirals wich einer gewissen Resignation. „In Ordnung. Du hast gewonnen.“, sagte der Admiral und hob die Hände als Zeichen, dass er aufgab. „Sechs Monate Hausarrest in seinem Haus in Kanada. Gesichert durch Transportblockierungen und unregelmäßigen Besuchen der Sternenflotten Sicherheit.“, setzte der Admiral nach und gab keinen Zweifel, dass dies nicht weiter verhandelbar wäre. „Und ein psychologisches Gutachten, das er wieder völlig gesund ist, bevor er erneut eine Uniform anziehen darf.“
Stocker öffnete die Tür des Büros und atmete tief durch. Das Ganze war komplizierter geworden als er gehofft hatte. Doch nun stand Ihm ein noch komplizierteres Gespräch bevor. Wie sollte er Steven beibringen, dass er noch am Leben war. Den Türgriff noch in der Hand stürmte bereits Commander Meloy den Korridor entlang. Stocker lächelte. Sie war also noch da, dachte er. „Haben Sie Captain O’Seal gesehen Admiral?“, fragte die Frau etwas außer atmen. Stocker runzelte die Stirn und schaute sich im Korridor um. „Ist er nicht hier?“, fragte Stocker überrascht: „Er ist schon vor fast einer Stunde aus der Anhörung raus.“ Die Worte schienen der Frau die Sprache verschlagen zu haben. Sie wirkte fast, als hätte er ihr eine Ohrfeige verpasst. „Kommen Sie.“, sagte Stocker freundlich. „Gehen wir Ihn suchen.“