Das Schiff driftet mit schwerer Schlagseite im Orbit von Icoram 4. Die letzte Salve Torpedos hatte die Antriebsgondel zerfetzt, das Trägheitsdämpfungsfeld lahm gelegt und die Stabilitätskontrolle unbrauchbar gemacht. Die Krankenstation des Schiffes war der Vielzahl der Opfer nicht mehr gewachsen und mittlerweile wurden die Verwundeten bereits auf den Korridoren behandelt. Allen Mitgliedern der Besatzung war klar gewesen worauf man sich bei diesem Auftrag einlassen würde, aber mit dieser Überlegenheit hatte niemand gerechnet. Steven versuchte sich noch immer im Stuhl des Captains festzuhalten und hörte dem Taktischen Offizier der seinen Schadensbericht ablieferte nur halb zu. Er kannte das Schiff gut genug um zu wissen was der letzte Treffer angerichtet haben musste. Die U.S.S. Midway war ein starkes Schiff, aber der nächste Treffer würde Ihr Ende bedeuten. Sie war eine Neuentwicklung gewesen. Das zweite Schiff einer Baureihe die einzig dazu geschaffen worden war, den aktuellen Bedrohungen der Föderation zu wiederstehen. Steven war klar was als nächstes passieren würde. Der Anblick des Hauptbildschirm zeigte Ihren Gegner in seiner ganzen stärke. Ein baugleiches Schiff wie die U.S.S. Midway, der Prototyp, gestohlen durch einen hochrangigen Offizier der Sternenflotte und durch fremde Technologie massiv verändert. Was auch immer Admiral McMahon für Technologie in das Schiff verbaut haben mochte, es macht die U.S.S Agamemnon zu einem der gefährlichsten Gegner den die U.S.S. Midway je hatte.
Steven starrte auf den Hauptbildschirm und wusste nicht mehr was er machen sollte. Die Agamemnon drehte bei und steuerte mit aktivierten Waffen auf die Midway zu. Das würde das letzte sein, was er und die Crew sehen würden, aber sie hatten McMahon lange genug beschäftigt. Das hoffte Steven zumindest. Vielleicht war es lang genug, dass die Starbase 203 vollständig hatte evakuiert werden können. Vielleicht war ihnen eine weitere Katastrophe wie auf New Berlin erspart geblieben.
“Sir.“
Die Worte des taktischen Offiziers rissen Steven aus seinen Gedanken.
„Was ist?“, fauchte er und versuchte sich auf die letzten Möglichkeiten zu konzentrieren.
„Ein weiteres Schiff nähert sich.“
Steven drehte sich um und starrte seinen taktischen Offizier an. Er versuchte den Blick des Offiziers zu deuten und sein Herz gefror zu Eis. Der Offizier gab ein paar Befehle in seine Konsole ein und wendete seinen Blick ohne weiter Worte dem Hauptschirm zu. Wiederwillig drehte sich Steven um und seine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr. Der Hauptschirm zeigte noch immer den Angreifer. Die U.S.S. Agamemnon hatte noch immer direkten Kurs auf sie gesetzt, doch wurden die Schilde des Schiffes von der Flanke beschossen. Es dauerte nur Sekunden bis ein zweites Schiff in das Sichtfeld des Hauptbildschirms gekommen war. Steven erkannte es sofort. Die majestätisch geschwungenen Linien der Galaxy Klasse würde er überall erkennen. Die U.S.S. Challenger, sein erstes Schiff auf dem er gedient hatte und welches er jahrelang als Captain befehligt hatte, stellte sich seinem Angreifer in den Weg. Sie kamen um Ihm zu helfen, das war Steven mehr als klar. Aber genau das war es, was er nicht gewollt hatte. Die U.S.S. Challenger war seine Heimat, sein Zuhause und das Schiff hätte schon auf halben Weg zur Erde sein sollen. Nicht nur wegen den Überlebenden der Starbase 203, nein auch wegen zwei anderen Person an Bord.
„Öffnen Sie einen Kanal zur Challenger“, brüllte Steven und ihm war es egal was die anderen Offiziere von Ihm dachten.
„Keine Verbindung Sir.“
Die Antwort des taktischen Offiziers hörte Steven kaum noch als der Hauptschirm das schlimmste zeigte, was er sich vorstellen konnte. Die U.S.S. Challenger flog mit vollem Impuls auf den Angreifer zu. Sie machten keine Anstalten abzudrehen um dem Waffenfeuer Ihres Gegners zu entgehen oder den Angriff von einer anderen Seite fortzusetzen. Sie flogen direkten Kollisionskurs. Als die Schilde der beiden Schiffe sich berührten flackerte ein greller grünlicher Lichtblitz auf.
Auf der Brücke der U.S.S. Midway mussten sich alle vom Hauptbildschirm abwenden um nicht geblendet zu werden. Alle außer Steven. Auch wenn seine Augen geblendet waren, wandte er den Blick nicht ab. Die leere des Raums und die Trümmer die der Hauptschirm zeigte, nachdem der Lichtblitz erloschen war und sich seine Augen wieder erholt hatten, waren für immer in sein Gedächtnis eingebrannt.
Schweißüberströmt erwachte Steven aus diesem Albtraum. Er stöhnte auf, als ihm klar wurde, dass er schon wieder geträumt hatte. Es war mittlerweile eine traurige Routine und doch traf ihn jeder Traum genau so hart wie die Ereignisse selbst. Auch wenn es bereits zwei Jahre her war, aber die Schlacht bei Icoram 4 würde er nie vergessen. Nicht, weil es eine der schwersten Kämpfe der Föderation seit dem Dominion Krieg war und auch nicht weil es nach der Zerstörung von New Berlin die höchsten zivilen Opfer gegeben hatte. Für Ihn war viel mehr zerstört worden. Er hatte alles verloren. Das Sternenflotten Kommando hatte Ihm die Schuld für den katastrophalen Ausgang der Operation gegeben und indirekt für die vielen Todesopfer verantwortlich gemacht. Nur der Zuspruch einiger Offiziere mit denen er im Laufe der letzten 15 Jahre an der Operation Sulivar gearbeitet hatte war es zu verdanken, das seine Karriere nicht sofort beendet wurde.
Steven versucht langsam aufzustehen und hielt sich den Kopf, als ihm schwindelig wurde. Vorsichtig öffnete er die Augen und hoffte, dass sich der Raum nicht mehr drehen würde. Er schleppte sich ins Bad und blieb vor dem Spiegel stehen. Der Mann der ihm da anstarrte war gebrochen. Gezeichnet von Trauer, Verlust und Verrat. Er war schon lange nicht mehr der Karriere Offizier, der er mal gewesen war. Bei der Schlacht von Icoram 4 war er gestorben. Die U.S.S. Challenger wurde als Zerstört im Kampf gewertet und alle Offiziere an Bord offiziell für Tod erklärt. Darunter seine Frau und seine Schwester. Was mit seinen jüngeren Kindern geschehen ist, hatte er nie herausgefunden. Laut Evakuierungsunterlagen der Starbase 203 hätten seine Kinder auf einem der Transporter zur Erde sein sollen. Aber dort waren Sie nie angekommen.
Er versucht verzweifelt seine Kinder zu finden und hatte dabei jeden gefallen eingefordert den man Ihm noch Schuldig war. Doch es gab keine Spur von ihnen. Erst der Abschluss Bericht zur Untersuchung der Schlacht von Icoram 4 ließ wieder Hoffnung in Ihm aufsteigen. Nicht nur das mehrere Frachtschiffe die Flüchtlinge zur Erde bringen sollten von der Angriffsflotte entführt worden waren, nein auch die Strahlungsergebnisse der Explosion der U.S.S. Challenger ließen in ihm Hoffnung aufkeimen. Währen seinen Ermittlungen in den letzten 14 Jahren hatte er diese Strahlungswerte schon mehrfach beim Sprungantrieb der Sulivar Schiffe beobachtet. Er hatte gehofft das die Kollision der U.S.S. Challenger mit der U.S.S. Agamemnon den Sprungantrieb überladen hätte und beide Schiffe in die Dimension der Sulivar gestoßen wurden. Doch keiner der Wissenschaftler wollte das hören. Niemand glaubte daran, dass auch nur ein Überlebender zu finden wäre. Alle waren nur froh dass die Invasion vorbei war.
Eine Zeitlang versuchte Steven verdeckt weiter zu suchen und die Crew die er befehligte, unterstützte Ihn dabei. Doch konnte er es nicht riskieren die Karriere anderer Offiziere zu gefährden. So entschloss er sich ein Shuttle „auszuleihen“ und sich auf eigene Faust auf die Suche zu machen. Er kannte noch einen letzten Sprungpunkt in die Dimension der Sulivar und musste unbedingt herausfinden ob die Challenger und vor allem seine Familie dort waren.
Steven rieb sich die Augen und starrte in den Spiegel. Er war sich nicht sicher, wie er an Bord dieses Schiffes gekommen war. Aber die U.S.S. Atlantis war nun schon seit 3 Wochen sein Gefängnis. Als Fahnenflüchtig festgenommen und unter Arrest gestellt, war es äußerst entspannt auf einem Raumschiff der Föderation mit zu fliegen. Keine Verantwortung und keine Pflichten. Nachdem er sich gewaschen hatte und ein wenig dafür sorgte sich wie ein Mensch zu fühlen verließ er das Bad und sah sich um. Warum man ihn in ein Quartier und nicht die Arrestzelle gesteckt hatte, konnte er sich nicht erklären. Es war ihm auch egal.
„Klopf, Klopf.“
Steven schloss die Augen und seufzte leise. Er hatte die Stimme nicht gehört, aber dennoch sehr deutlich wahrgenommen. Die Stimme war in seinem Kopf und versuchte es gleich nochmal.
„Klopf, Klopf“
Er hasste Betazoiden. Besonders wenn sie so aufdringlich in die Gedanken eines anderen eindringen. In den letzten Jahren hatte er, seiner Schwägerin sei dank, ein regelmäßiges Training gehabt wenn es darum ging Gedanken und Gefühl vor einem Betazoiden abzuschirmen. Seine Schwägerin hatte nämlich die gleiche Eigenart, wie sie scheinbar viele andere Betazoiden auch haben. Sie reagierte ungefragt auf Gedanken und Gefühle der Personen in Ihrer Umgebung. Manchmal war das ein Vorteil, aber gerade in einer kleinen privaten Runde konnte das mehr als Nervig werden. Er konzentrierte sich und versuchte sich so simpel wie möglich einen Stein vorzustellen. Es viel ihm schwer, besonders nach dem Albtraum von vorhin, aber das Klopfen in seinem Kopf wurde leiser. Auch wenn ihm das nur ein paar Minuten Ruhe bringen würde, gestattete er sich doch ein kleines Lächeln über diesen Erfolg. Er wollte sich gerade auf das Sofa setzen, als sich schon der Türsummer meldete.
Das hat ja nicht lange gedauert, dachte Steven frustriert und überlegte ob er aufstehen sollte oder nicht.
„O’Seal, kommen sie. Ich weiß das sie da sind.“ Die Stimme auf der anderen Seite der Tür klang genervt, aber auch besorgt. Seit er an Bord war, hatte man ihm einen Counselor zur Seite gestellt um das Trauma welches er erlitten hatte besser verarbeiten zu können. Er mochte keine Psychologen und war in den letzten Jahren immer ohne sie ausgekommen. Als er noch ein Kommando hatte, konnte er immer wieder den Gesprächsversuchen des eigenen Couselors entkommen. Es gab immer irgendwas zu tun und Kommandierender Offizier eines Schiffes zu sein hatte seine Vorteile.
Doch dieser Counselor meinte es ernst. Commander Jenna Meloy war ihm die ersten Tage an Bord nicht von der Seite gewichen. Als sie sich sogar mit einem Stuhl auf den Korridor vor Stevens Quartier setzte, war dem Sicherheitsoffizier des Schiffes der Kragen geplatzt. Die Diskussion zwischen dem Sicherheitsoffizier und dem Counselor um zwei Uhr nachts vor der Tür zu seinem Quartier war das amüsanteste was Steven je gesehen hatte. Erst als er die Tür öffnete und beide Ffagte was dieses Geschrei um die Uhrzeit bedeuten würde, legten die zwei Ihren Streit bei. Allerdings zum großen Nachteil von Steven, denn Jenna Meloy bekam das Quartier auf der anderen Seite des Korridors. Ihre Türen lagen sich somit direkt gegenüber und sie wusste sofort wenn Steven sein Quartier verlassen wollte.
So war es auch jetzt.
Sie musste den Albtraum mitbekommen haben und glauben, dass die Sitzung dringend notwendig war. Er erhob sich und ging ohne jede eile zur Tür und konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen als er die Tür öffnete. Commander Meloy stand wie immer in tadelloser Uniform vor seiner Tür und hatte ihr übliches Counselor lächeln aufgesetzt. Ihm war nicht klar wann dieses Lächeln professionelle Maske oder ernstgemeinter Ausdruck war. Ohne ein Wort drehte er sich um und ging zu der kleinen Sitzgruppe im Wohnbereich des Quartiers zurück. Hinter Ihm schloss sich mit einem leisen zischen die Tür und er wusste das sie sein Quartier betreten hatte. Er deutete auf einen bequemen Sessel am anderen Ende der Sitzgruppe und hoffte so möglichst viel Distanz zwischen sie beide zu bekommen. Doch als er sich in einen Sessel fallen lies, sah er Ihr lächeln direkt neben sich. Sie hatte sich auf das Sofa gesetzt und war so nur eine Armlänge von ihm entfernt. Steven verkniff sich ein seufzen und wartet auf ihre üblichen einleitenden Worte wie bei jeder Sitzung in den letzten Tagen, doch nichts geschah. Sie schwieg und sah ihn nur an. Die Stille wurde schon nach wenigen Sekunden drückend und unangenehm. Warum war Sie hier?
Was sollte er sagen? Sollte er erzählen, das er nur seine Ruhe haben und nichts mehr mit der Föderation und der Sternenflotte zu tun haben wollte? Das er nur wieder ein Schiff brauchte um weiter nach seiner Familie zu suchen? Er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben und glaubte fest daran, das sein Frau noch lebte. Er würde alles in seiner Macht stehende tun, um seine Schwester, seine Kinder und vor allen seine Frau wieder zu finden. Aber das wusste sie alles schon. Diese Themen waren schon bei den ersten Sitzungen sehr deutlich geworden und er hatte keine Lust das alles noch mal zu diskutieren.